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Expeditiontagebuch Spitzbergen

Stavanger – Bergen, Dienstag 10.05.05

Sagenhaft wie hartnäckig der Wind von vorne kommen kann. Seit zehn Tagen Nordwest, so um die 6 – 7, in Böen 8. Aber jetzt ist es
nicht mehr so ungemütlich, hier im geschützten Innenfahrwasser vor Norwegens Fjordlandschaft. Den einen hat es Spass gemacht, bei drei Meter Nordsee-Hackwelle mit bis zu 8 Knoten hoch am Wind durch die stockdunkle Nacht zu reiten, die anderen sind froh, dass es vorbei ist. Aber alle haben gelernt, wie man mit „Schwerwetter“ umgeht, was man macht, was nicht und wie es funktioniert .
Reffen, Kochen, Verschlusszustand, Navigation, Notrolle, Wachrhythmus, Wellen aussteuern usw. Am zweiten Tag haben auch alle
eingesehen, dass die bordeigenen Überlebensanzüge doch ganz klare Vorteile gegenüber der tollsten, teuersten, besten,
atmungsaktiven neuerworbenen Segelkleidung haben. Das wichtigste – sie sind trocken und wasserdicht, auch wenn man doch mal über
Bord gehen sollte, man unterkühlt nicht.
Jetzt erholen wir uns beim Sund-Segeln. Ein erster Höhepunkt der Reise. Norwegen, das Land der Fjorde, atemberaubend schön,
kaum zu beschreiben, man muss es einfach gesehen haben. Strahlender Sonnenschein begleitet uns seit drei Tagen, während wir
umzingelt von steilen Felswänden durchs ruhige Wasser segeln. Am Hardangerfjord glänzt der Folgefonn, Norwegens zweitgrößter
Gletscher über den Gipfeln. Heute erreichen wir Bergen. Direkt an Bryggen, dem weltberühmten hölzernen Hanseviertel machen wir fest. Wie viele Koggen mögen hier früher gelegen haben?. Hier braucht man kein Museum um sich eine Vorstellung der Hansezeit zu machen, hier erlebt man die Hanse, seit dem Mittelalter hat sich hier nichts verändert.
Nacheinander suchen wir die einzige Dusche auf, – welch ein Genuss! Nachmittags fahren wir mit Sightseeingbus und Seilbahn auf den Ulriken, Bergens Hausberg. Lange geniessen wir das fantastische Panorama. Wohlgemut beschliessen wir zu Fuss abzusteigen. Weg würde man diesen Steilen Pfad in Deutschland nicht nennen und mit Sicherheit wäre das Betreten wegen Lebensgefahr verboten. Teilweise liegen noch Haufen mit grossen Hagelkörnern am Hang, Reste der mächtigen Gewitterwolke, welche wir am Vorabend am Horizont vor uns gesehen haben. Glücklicherweise waren wir gestern nicht hier! Obwohl wir absteigen, wird uns am sonnigen Hang recht warm und jeder rutscht mal aus und landet mit den guten Klamotten im Dreck. Gut, dass wir uns vorher extra landfein gemacht haben. Verschwitzt und verdreckt kommen wir an der Talstation an, na ja, es bleibt noch etwas Zeit und bis der Bus fährt sehen wir schon wieder ganz manierlich aus. Nach einer kleinen Stadtrunde erreichen wir das Schiff just in time, um einer historischen Feuerlöschübung beizuwohnen. Mit Pferdewagen, traditionellen Uniformen, Oldtimern und Unmengen von Wasser wird ein Spektakel aufgeführt, das stark an Spiel ohne Grenzen erinnert und nicht zuletzt den Akteuren einen Heidenspass macht.
Ich verlasse den Trubel und gehe noch ein wenig durch die leeren Gänge zwischen den verschachtelten Hansehäusern. Es riecht nach
Teer und Fisch. Eine schwarze Katze sitzt vor mir auf den Holzdielen und blickt zur Kai. Ich folge ihrem Blick und sehe die alten
Fischerboote, die den Langbooten der Wikinger ähneln, im Hafen. Ich setze mich hin und kraule die Katze eine Weile. Rumms! Eine
Tür fliegt auf und ein kleiner wütender in bunte Tücher gehüllter Mann stürmt davon. Langsam erhebe ich mich und gehe zu der noch
schwingenden Tür. Ich riskiere einen Blick durch den Spalt und erblicke eine Reihe ähnlicher Gestalten, die im Schein von Tranlampen in dem rauchschwangeren Raum stehen. Sie diskutieren im bergener Dialekt, dieser Mischung aus Althochdeutsch, Hafenenglisch, Norwegisch und Kauderwelsch. Fasziniert lausche ich an der Tür. Gehört das zu der Löschübung? Nein, es geht um Fische, Salz, Waren und Geld. Man wartet auf ein Schiff, das von Süden kommen soll, mit Salz und Gütern für die Fischer. Diese warten mit ihren Booten, in denen der Hering gammelt, im Hafen. Das Salz wird dringend erwartet, um die Fische in Fässer zu legen. Zwei Schiffe sind schon ausgeblieben! Die Stimmung ist aggressiv. Gestern ist es im Wirtshaus wieder zu Gewalttätigkeiten gekommen, zwei Fischer und drei Burschen der Hanse wurden erschlagen. Es sollen Piraten in der Ostsee unterwegs sein. „Vitalienbrüder“ werden sie genannt. Die Stimmung wird von Tag zu Tag schlechter. Man befürchtet, die Fischer werden die Stadt brandern, wenn man ihnen den Fisch nicht wie versprochen abnimmt. Noch mauern die Kaufleute, nur einer hat genug, er will den Fisch kaufen. Er ist rausgerannt. Die anderen im Raum haben Angst, wollen den Fisch erst kaufen, wenn das Salz kommt, sonst ist er wertlos. Jemand rennt den Gang entlang. Ich erstarre. Er schlägt mir die Tür vor den Kopf und verschwindet im Raum. Benommen bleibe ich stehen. Es ist ein Laufbursche, ein Bote. Er kommt vom Berg runter. Dort hat man eine Kogge im Sund gesichtet, die von Süden kommt. Tiefbeladen hätte sie Kurs auf Bergen. Die Fischer wüssten noch nichts von der Kogge, aber ein Kaufmann würde bereits allen Fisch am Hafen kaufen. Ausserdem würde hinter der Tür spioniert. Aufruhr! Alle stürmen gleichzeitig zur Tür. Ich schlage dem ersten die Tür vor den Kopf und renne so schnell ich kann davon, zur Kai, dort wo die Fischerboote liegen – aber halt,- nein es ist Tordas der da liegt! Die Fischerboote sind verschwunden. Schweiss gebadet erreiche ich das Schiff und drehe mich nach meinen Verfolgern um. Aber, – dort sitzt nur die Katze in der Sonne und blinzelt mich an, der Spuk ist vorbei. Gemütlich lassen wir den Abend ausklingen. Den Gutenachtspaziergang mache ich lieber mit Bordhund Sheila. Die vertreibt die wunderlichen Katzen von Bergen!
Am nächsten Morgen wird eingekauft. Warme Mützen und Socken für den hohen Norden, Obst und Gemüse und natürlich schauen wir
auch beim gut sortierten Schiffsausrüster vorbei. Postkarten werden geschrieben, noch ein letzter Spaziergang mit Bord“See“hund“ Sheila und weiter geht’s Richtung Alesund. Wir lassen alle die Seele baumeln und geniessen die vorbeigleitende Berglandschaft. Später wird das 25 PS Schlauchboot für Fjordausflüge vorbereitet.

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