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Expeditiontagebuch Spitzbergen

Noch immer auf See, der 28.06.05

Vor vier Stunden pappte sie über den Horizont. Die Bäreninsel – 55 Seemeilen Voraus. Seit einer halben Stunde ist sie wieder im Dunst verschwunden. Den ganzen Tag schon steht eine ekelhafte, chaotische Dünung aus Ostsüdost. 1,5 bis zwei Meter, einzelne Wellen an die drei Meter. Und Flaute. Das Schiff schlingert furchtbar, das Grosssegel schlägt wie wild. Opferwetter. Himmel und Meer sind grau in grau. Einmal besucht uns eine Schule von ungefähr zwanzig Delfinen und am Horizont sahen wir den Blas von Walen. Wenn die Dünung an der ungeschützten Küste der Insel bricht, sieht es schlecht aus mit einem Landgang. Viele mussten hier schon weiterfahren wegen Sturm, Seegang oder Nebel. Als läge ein Zauber der Unnahbarkeit auf ihr. Die 178 Quadratkilometer grosse Insel, ist rundum von einer Steilküste umgeben, die nur an wenigen Stellen, teilweise kaum breiter als 5 Meter, ein Anlanden und Erklimmen der steinigen Ebene zulässt.
23.00 Uhr, Herwighamna, die Anlandestelle der Björnöya Radiostation. Wir nehmen über UKW Kontakt auf und werden in die Station eingeladen.
Schnell ziehen wir uns um, wassern das Schlauchboot und los geht’s. Am Ufer wartet schon Ted auf uns, er lotst uns zwischen den Steinen an den Strand. Auch Ted hat ein Gewehr geschultert und ich frage ihn ob Eisbären da sind. „You never know“, im Winter bekam die Station Besuch von Zweien. Wir tragen das Schlauchboot hoch den Strand hinauf, es läuft eine unangenehme Dünung in die kleine Bucht, die sich an den Felsen und am Strand bricht. Tordas schaukelt wie wild und rupft unrythmisch am Anker. Wir laufen zur Station hoch, Sheila wird am Eingang festgebunden und begutachtet das wolfartige Heulen der gegenüber an ihren Hütten festgebundenen Grönlandhuskies. Waffen und Schuhe bleiben im Windfang. Drinnen wird uns im gemütlichen Aufenthaltsraum ein Kaffee angeboten während uns der Stationsleiter begrüsst. Allgemeines Händeschütteln. An der Wand hinter dem Fernseher hängt ein riesiges Eisbärenfell. Im anderen Teil des Raumes, der Bibliothek, steht eine Ledergarnitur vor dem offenen Kamin. Er wird mit Treibholz befeuert und brennt die ganze Polarnacht. Ted deckt das Stationsaquarium mit einem Tuch ab, die Fische sollen schlafen, schliesslich ist es schon Mitternacht. Anschliessend bekommen wir eine erste Klasse Führung durch die Station. Generatoren, Trinkwasserspeicher für den Winter, Partieraum, Poststelle und Minishop, Küsten- und Wetterfunkstelle, Wetterballonstation mit eigener Wasserstoffgaserzeugung, Erdmagnetfeldmessungen, Werkstatt, Fitnesstudio. Ted ist für die Wetterballons zuständig. Zweimal täglich, um 01.00 und 13.00 Uhr wird ein Ballon gestartet und steigt bis in eine Höhe von 25.000 bis 30.000 Meter auf, wo er explodiert. Während seines kurzen Lebens funkt er unaufhörlich Wetterdaten zur Station. Aus diesen Daten und denen anderer, überall auf der Welt verteilten Stationen wird unser täglicher Wetterbericht gekocht. Alle Gebäude sind durch lange Gänge miteinander verbunden. Es erinnert irgendwie an eine Forschungsstation auf einem fremden Planeten. Ich habe das Gefühl einen Raumanzug für draussen zu brauchen. Zweimal im Jahr kommt das Versorgungsschiff und die Crew von zehn Personen wird ausgetauscht. Ted kommt aus dem nördlichsten Ort Norwegens. In einem Monat werden er und seine Kollegen ausgetauscht. Nächstes Jahr arbeitet er auf der Station von Hopen. Diese, auch zu Spitzbergen gehörende Insel, liegt weiter im Osten und ist fast das ganze Jahr vom Packeis eingeschlossen.
In sicherer Entfernung liegt eine komplette Reservestation, geheizt und bezugsfertig. Bei Feuer oder einem anderen Unglück wäre die Besatzung sonst verloren. Nach einem Eintrag ins Gästebuch besuchen wir noch das winzig kleine, aber phantastische „Björnöya Museum“, eine lose Sammlung von auf der Insel gefundenen Gegenständen, von Barents bis heute. Draussen fällt mir auf, dass wirklich alle Gebäude mit über die Dächer verlaufenden dicken Stahlseilen am Boden verankert sind. Als ob es Fesselballone wären. Wir gehen noch über eine kleine Brücke auf die andere Seite der Bucht, dort liegen die Ruinen der „Nazistation“. Unweit davon liegt ein Wehrmachtflugzeug, eine Heinkel 88 zerschmettert am Boden. Sie hat 1944 die Kohlenmine Tunheim, die wir bei der Hinreise besuchten, zerbombt und wurde anschliessend von einem englischen Kriegschiff auf der anderen Seite der Insel abgeschossen. Auch der Krieg ist im Permafrost konserviert worden. Über den Gravodden, der Gräberlandzunge, kehren wir zurück. Am Strand liegen tausende Walrossknochen herum und Sheila schnappt sich noch schnell einen bevor es mit dem Schlauchboot zurückgeht.

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