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Expeditiontagebuch Spitzbergen

Fair Haven, der 20.06.05

In der Durchfahrt zwischen den Norsk öyane Inseln Ankern wir im Strom. Es gibt dort nur eine Untiefe mit 1,7 Metern, die wir aber trotz längerer Suche mit dem Beiboot nicht finden können. Der Stein ist jedenfalls nicht im Schwoikreis des Schiffes, das ist die Hauptsache. Mit den Seekarten ist das hier so eine Sache. Auf fast allen prangt der Stempel „old local Datum, WGS 84 positions can not be plotted directly on this Chart“. Weiter unten auf der Karte wo normalerweise die Korrekturdaten für WGS84 stehen, liest man dann „Adjustments for plotting positions obtained from satellite navigation systems cannot be determinated for this Chart“. Unser GPS ist hier also wenig hilfreich. Unsere elektronischen Karten stimmen mit den tatsächlichen Positionen schon gar nicht überein, da sind die Übersegler noch genauer. Wirklich lausig. Na ja, für wen sollte diese Küste auch vermessen werden? Aber ist ja auch nicht schlimm, Dank der nordischen Segelschule sind wir ja Experten in terrestrischer Navigation. Also schnell ein Paar Peilungen genommen, nochmal gelotet, dazu die Radarpeilungen und schon sind alle Zweifel ausgeräumt.
An Land besichtigen wir die Überreste der Tranöfen und den „Friedhof“ dieser alten Walfängersiedlung. Schon erstaunlich wie die Menschen vor vierhundert Jahren auf diesen schmalen Geröllhalden vor den steilen Berghängen überleben konnten.
Vorbei an den vielleicht hundert Steinhügelgräbern klettern auf den „Utkiken“, den Aussichtsberg. Nach Norden blaues Meer, in der Ferne erkennt man an den Nebelbänken die Eisgrenze. Der Kontinentalhang reicht hier bis an die Inseln, wenige Meilen davor ist es schon über tausend Meter tief. Im Osten die Nordküste Spitzbergens und im Hintergrund das Nordaustland bedeckt von Eis. Im Süden die „spitzen Berge“ und Gletscher, Gletscher, Gletscher. Rund 60% von Svalbard, so der nordische Name Spitzbergens, sind davon bedeckt. Doch auch hier macht der Treibhauseffekt kein halt. Fährt man heute an die Gletscherzungen heran, stellt man fest, dass man eigentlich schon ein bis zwei Meilen hinter den auf den Seekarten eingetragenen Abbruchkanten von 1966 steht. Im Westen die Nachbarinseln, zwischen denen der „Fair Haven“ liegt.
Nebel zieht auf und lässt die Landschaft noch gespenstischer erscheinen. Der süsslich, fettige Geruch des Waltrans liegt in der Luft, Man hört die Takellagen der Fangschiffe in der Bucht knarren und ächtsen . Die Männer rufen sich in seltsamen Sprachen Kommandos zu. Ein Wal wird mit Winden die Flosse voran an Land gezogen. Die Feuer prasseln unter den Zehn Öfen der Bucht. Menschen in seltsame Lumpen gekleidet laufen umher. Da, Schreie!
Eine Schmarotzerraubmöwe wird von den viel kleineren Küstenseeschwalben vertrieben und im Nu sind die Trugbilder der Vergangenheit verschwunden. Tordas liegt verlassen in der Bucht, das Schlauchboot gut vertäut am Strand. Vorsichtig laufen wir zwischen den überall brütenden Eiderenten den Hang hinab. Weiter unten rutschen wir den letzten Schneehang auf dem Hintern hinab.
Am nächsten Morgen, wurden wir von Stimmen und Schiffsgeräuschen geweckt. Aber so sehr wir uns auch bemühten etwas durch den Nebel zu erspähen, – wir waren allein in der Bucht. Seitdem hören wir wieder diese seltsamen Gesänge, von denen wir zuerst glaubten es seien die Gletscher. Es sind auch nicht die Wale oder Walrösser wie uns die Forscher aus Ny Alesund weismachen wollten. Ich weis nicht was es ist. Aber eines ist sicher! Es sind viele. Sie sind mal nah und mal fern und jeder an Bord kann sie hören, mal laut und mal leise. Kommen sie aus dem Meer? Oder der Erde? Sind es die Stimmen der Vergangenheit?
Wir lichten den Anker und fahren zwischen steilen, im Nebel dunkel drohenden Felswänden davon.

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